"GEMMA AUFE ZUM BERI!"

Eine Liebeserklärung an das Weinviertel. Denn: Wer Menschengruppen und Marketingwinzerfuzzis weniger, dafür Veltliner, Weinberge und Weite besonders liebt, schließt das Weinviertel sofort in sein Herz. Mir jedenfalls ist es so ergangen.

 Gleich mal eines vorweg: Ich liebe das Weinviertel! Nicht erst, seitdem der Radtourismus darauf aufmerksam geworden ist, Radgruppen durch die Hügel pflügen und über Radwege, genannt „Grüner Veltliner“ oder „Riesling“, strampeln. Nicht erst, seitdem junge Winzer hier kräftig umrühren und diese Region langsam auch weintechnisch über die Grenzen des Landes bekannt machen. Nein, ich liebte es schon davor.

 

Es ist keine hippe Gegend, kein Dolce Vita, kein Zweitwohnsitz für Bobos.

 

Die Stimmung hier ist einzigartig – vor allem nördlich nahe der tschechischen Grenze. Sanfte Weinberge schmiegen sich sommers bei flirrender Hitze und Grillenzirpen aneinander, winters liegt ein morbider Charme über der Gegend. Der Blick ist frei, an guten Tagen sieht man nach Tschechien. Es ist keine hippe Gegend, kein Dolce Vita, kein Zweitwohnsitz für Bobos. Das Leben hier ist und war hart, das sieht und merkt man. Aber gerade deshalb ist das Weinviertel so echt. Alfred Komarek hat mit seinen Polt-Krimis diese Stimmung in Worte gegossen. Vielleicht ist das Weinviertel die noch authentischste aller österreichischen Weinregionen. Wenn man unter „authentisch“ „(noch) nicht marktkonform inszeniert“ versteht. An manchen Tagen ist kein Mensch auf der Straße. Meistens fädeln sich die Häuser entlang der Hauptstraße auf wie auf einer Perlenkette. Jedoch nicht glänzend und poliert, sondern einfach, oft grau, hie und da bröckelt schon einmal der Putz ab. Berühmt sind auch die Kellergassen, in denen sich ein Weinkeller nach dem anderen, oft spinnwebenverhängt und richtig schön kellermuffig, in den Hang kuschelt.

„Entrisch“ nannte das kürzlich eine Freundin von mir, als wir durch die Dörfer fuhren und kaum ein Lebewesen sahen, nur einmal huschte eine Katze vorbei. Dieses Stadtkind! Für mich ist das nicht entrisch. Für mich ist das pur. Purer Rückzug sozusagen. Außer, ja, außer wenn die Freiwillige Feuerwehr in den Sommermonaten ein Dorf nach dem anderen mit Blasmusik und Gaudi bespaßt. Dann sieht man, von welchem Schlag die Leute hier sind. Ruhig, verwurzelt, manchmal knorrig und knurrig, oft freundlich und immer für einen Spaß gut. „Gemma aufe zum Beri, glei zweringst. Do, bei de Ree, schluan ma an Schlipfö.“ Man möchte diese Worte festhalten, diesen seltsamen, hart-weichen Dialekt, der durch touristenkonformes Deutsch und unternehmerische Internationalisierung am Verschwinden ist. „Gehen wir rauf in den Weinberg, gleich querfeldein. Dort, bei den Reben, trinken wir einen kleinen Schluck“. Wie lustlos und gehetzt das klingt im Gegensatz zum Weinviertlerischen.

 

Der Grüne Veltliner ist die Nummer 1.

 

Und der Wein? Puh, wo soll ich anfangen? Das Weinviertel ist alles andere als einheitlich, zu groß ist diese Region, die sich von der Donau bis hinauf zur tschechischen Grenze erstreckt, westlich begrenzt durch den Manhartsberg, östlich von der Slowakei. Immerhin sind das insgesamt 13 356 Hektar Weingärten. Dass hier ganz unterschiedliche klimatische Bedingungen herrschen und die Reben auf verschiedenen Böden wachsen, ist bei dieser Größe klar. Daher kommt auch die Weinvielfalt, die das Weinviertel so reizvoll macht. Wobei der Grüne Veltliner unangefochten die Nummer 1 ist. So typisch ist er hier, dass er zum Weinviertel DAC gekürt wurde. Daneben gibt es aber eine Fülle an anderen Sorten: Riesling, Welschriesling, weiße Burgundersorten, aber auch Rotweine wie Zweigelt, Blauer Portugieser oder rote Burgunder.

Heute aber, heute kommt das Weinviertel zu mir. Acht Weine stehen vor mir, manche, so denke ich, glühen fast vor lauter Sonne, wie sie in den Sommermonaten oft herunterbrennt.

Fangen wir im westlichen Teil des Weinviertels an. Da gibt’s gleich einmal die Lisi Rücker, Tochter der Winzerfamilie Rücker in Unterretzbach, die ihre eigene Weinlinie „Elisabeth Wein“ macht. Und die sind, genauso wie die Winzerin, nicht von schlechten Eltern! Der Grüne Veltliner 3 Lagen stammt von drei Terroirs: Löss, Lehm und Urgestein. Das jetzt mal für die Kopfmenschen. Für uns Genusstypen: saftig, saftig, saftig! Pure Frucht, dazu feine Säure, voll und rund. Und das Pfefferl, joooo, des berühmte Pfefferl, ist auch dabei.

 

Ein Veltliner mit Cojones, der vor Würze nur so knackt.

 

Ein bisschen weiter südlich liegt Zellerndorf und hier das Weingut Prechtl. Franz Prechtl keltert zwar auch Sauvignon Blanc, Riesling und Chardonnay, aber in Wahrheit ist er ein Meister des Grünen Veltliners – und zwar in allen Spielarten. Der Grüne Veltliner Längen Weinviertel DAC 2015 ist ein kraftvolles Kaliber, er knackt richtig auf vor Würze und hat ordentlich Cojones. Ein zweites Glas und du brauchst keinen Urlaub mehr.

Weiter geht’s. Und zwar gleich einmal mit einem Siegertypen: Blauer Zweigelt 2013 vom Weingut Hagn. Ja, Rotwein! Denn der Westen der Region mit seiner Weinhauptstadt Retz und dem Pulkautal hat aufgrund der trockenen Klimaeinflüsse einige geile Rote zu bieten. Mailberg ist so eine Rotweininsel. Der Hagn-Zweigelt wurde Salon-Sieger 2015 – eine Art Staatsmeisterschaften in Sachen Wein. Und hat sich hier gegen andere seiner Sorte, die aus für den Zweigelt wesentlich bekannteren Weinregionen stammten, durchgesetzt. Der ist aber auch wirklich der Wahnsinn: Zwetschke pur, dazu bissl Schoki, dabei aber frisch mit kühler Würze.

 

Kommt „keltern“ von „Kelten“?

 

Weil’s so schön mit den Pulkautaler Roten ist, wird gleich noch ein weiterer geöffnet: Der Rakatai Alte Reben Blauer Portugieser vom Weingut Seymann in Karlsdorf. Rakatai war der Name eines keltischen Stammes, der in dieser Gegend schon vor 2500 Jahren Wein machte. Kommt „keltern“ von „Kelten“? Der Blaue Portugieser jedenfalls ist quasi eine Essenz von 30-35 Jahre alten Rebstöcken. Eine Fruchtbombe – Himbeeren, Brombeeren und vieles mehr, die dann Feinheiten wie eine Prise Minze, ein wenig Mandel und ein bisschen Vanille zeigt. Ein Prachtkerl und lang, lang, lang.

Wir fahren gedanklich Richtung Nordosten weiter, nehmen aber einen kleinen Abstecher nach Eibesthal. Noch nie davon gehört? Der Ort liegt in der Nähe von Mistelbach „Hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen“ quasi. Nur dass es hier zwei Schneewittchen sind, Maria und Anna Faber-Köchl. Die beiden Frauen, Mutter und Tochter, rühren in der Region weintechnisch kräftig um. Es gibt ja keine großen Lagen hier, keine berühmten Weine, aber genau das ist der Vorteil der beiden – sie können nach Lust und Laune die Region weintechnisch prägen. Mir hat’s der Köchl Verzeichnis 508 angetan, beim erstem Schluck klingelt denn auch Mozarts Kanon im Ohr: „Auf das Wohl aller Freunde!“ Die weiße Cuvée aus Weißburgunder, Grünem Veltliner und Riesling schmeckt intensiv nach Pfirsich, Mango, Birne, ist füllig, cremig und endlos elegant. Definitiv ein Wein zum Feiern und Anstoßen.

 

„Rosé aus der Provinz“ – einer der spannendsten Rosés des Landes.

 

Es geht weiter in das nördliche Weinviertel. Die Gegend rund um Poysdorf hinauf bis zur tschechischen Grenze, die von Kalkklippen markiert wird, ist eine ganz besondere: Cool climate nennt man das heute. Einfach ausgedrückt: Kühler ist es hier in der Nacht, heiß bei Tag. Die Reben bekommen quasi kalt-warm. Die Kombination von diesem Klima und den Kalkböden findet man sonst nur in den renommiertesten Weinregionen dieser Welt. Sehr mineralische Weiße sind das Ergebnis und gerade Burgundersorten fühlen sich hier pudelwohl. Der Rosé aus der Provinz vom Weingut Dürnberg in Falkenstein ist meine nächste gaumentechnische Beglückung. Er wird aus Pinot Noir, Merlot und Cabernet Sauvignon gemacht. Für mich ist er einer der spannendsten Rosés des Landes und, wenn wir schon von Beglückung reden, … aber lassen wir das. „Aus der Provinz“ meint hier mit einem Augenzwinkern das Vorbild großer Roséweine aus der Provence. Und, ja, das schmeckt man: Kein dünnes, saures Wasserl, sondern unfassbar dicht und fruchtig mit viel Tiefgang. Überzeugt ganz sicher auch militante Rosé-Verachter.

 

Eiswein aus cool climate at its best.

 

Aus Poysdorf selbst stammt eine große Besonderheit: Der Riesling Eiswein Schneiderberg vom Weingut Weinrieder, in meinem Falle 2013. Cremig mit brillanter Säure, sehr nobel und endlos lang. Ja, da muss man mit knappen 50 Euro schon tief in die Börse greifen, aber man gönnt sich ja sonst nichts. Und schließlich ist die Eisweinproduktion ja sehr aufwändig, passiert nur nach strengen Wintern, die wir in Österreich ja nur mehr selten haben, und bloß etwa 10 % der Ausgangstrauben finden ihren Weg in die Flasche, der Rest fällt zumeist der Edelfäule zum Opfer. Die kann man, anders als bei Trockenbeeren- und Auslesen, beim Eiswein nämlich überhaupt nicht brauchen.

Wir beenden unsere gedankliche Reise im südöstlichen Weinviertel. Die Gegend hier ist vom pannonischen Klima beeinflusst, das heißt: trocken und warm. Dazu noch das Kleinklima des Flusses March und es geht vor allem den aromatischen Sorten wie Traminer, aber natürlich auch dem Veltliner und dem Riesling besonders gut. Der letzte Wein der Weinviertel-Tour kommt von Gerhard Lobner, der nicht nur Geschäftsführer des Wiener Weinguts Mayer am Pfarrplatz ist, sondern auch Winzer in Mannersdorf an der March. Sein Riesling 2015 ist kristallklar, fein, würzig und sehr aromatisch. Viel Wein fürs Geld und für jeden Tag geeignet.

So, Tour de la Weinviertel Ende. Zumindest in Sachen Wein. Denn dermaßen animiert werde ich jetzt gleich eine reale Tour buchen. Im Oktober. Da kriecht dann schon der Nebel über die Weinberge und man radelt nicht in saharaartiger Hitze durch die Dörfer. Oder vielleicht zu Ostern? „Da gemma in die Grea“, wie es im Weinviertel heißt. Ins Grüne also, wenn der Winter vorbei ist und die Kellertüren öffnen. Vielleicht sehen wir uns bei einem Achterl Veltliner, Riesling und/oder Portugieser?

Titelbild (c) ÖWM/Armin Faber

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