Schauspieler Johannes Zeiler lebt sich intensiv in seine Rollen ein und stellt sich gerne großen Herausforderungen. Im Fall von „Deckname Holec“, der Zilks Jahre als Spion des tschechischen Geheimdienstes beleuchtet, porträtiert Zeiler den jungen Zilk als Lebemann mit Schwäche für schöne Frauen. Es ist eine fordernde Rolle. Aber eine, die Zeiler liegt, weil er selbst ein Genießer ist: Gerne saugt er Atmosphäre und Ambiente in sich auf, das gibt seinen Figuren eine Stofflichkeit, eine Haptik, die sich nicht allein über seine Dialoge erschließt, sondern auch über Kulinarik, gute Weine, Lebensart. Über sinnliche Erfahrungen, nicht über theoretische Zugänge. Eine gute Rolle muss ehrlich sein und geradlinig. Das Wichtigste an seinem Beruf ist das Schuhwerk, sagt er. Da fängt alles an. Denn damit steht man auf dem Boden.
Just Taste: Du hast für „Deckname Holec“ in der Rolle von Helmut Zilk eine ganz eigenständige Persönlichkeit erschaffen, die Zilk nicht imitiert, sondern interpretiert. Wie muss man sich diese Erarbeitung vorstellen?
Johannes Zeiler: Ich musste mir Zilk als Mensch erarbeiten und da bin ich auf seinen Hang zum Genuss gestoßen. Ich habe ihn aufgrund des Drehbuches als Hedonisten entdeckt, bei dem das Bauchgefühl und auch tiefer gelegene Regionen sehr entscheidend sind im Leben. Ein Mensch, der sich wenig im Leben durch Zweifel und Grübeleien verbaut hat. Zilk war auch bekannt dafür, dass er gerne sehr viel Geld ausgegeben hat, auch für die schönen Dinge des Lebens. Für den Film hat sich Regisseur Franz Novotny auf nur wenige Personen konzentriert, denn wenn man wirklich alle Affären gezeigt hätte, die Zilk in Tschechien hatte, hätte das den Rahmen deutlich gesprengt.
Ja gut, und den Bogen zum Wein bekommen wir nur, wenn man es vom Genuss her sieht, das ist eh klar.
Genau. Zilk war offensichtlich wirklich ein Mensch, der sich allem Wohlschmeckenden und Angenehmen nicht entzogen hat.
Und du? Welchen Stellenwert hat Wein in deinem Leben?
Ich empfinde Wein sicherlich auch als Genuss. Was mich weintechnisch geprägt hat: Ich komme aus einer Weingegend. Als ich dort aufgewachsen bin, war das aber noch gar keine, die Oststeiermark. Das hat sich erst nach dem Weinskandal gemausert. Nach dem Glykolskandal hat sich diese Qualitätsweinentwicklung durchgesetzt, die ja bis heute anhält. Das Weinschmecken und -spüren war bei uns zu Hause schon durchaus Usus. Vom Burgenland sind wir auch nicht so weit weg, also die roten Weingegenden, die roten Weinlagen, oder auch da, wo mein Vater ursprünglich herkam, aus der Südoststeiermark, also Kapfenstein – Straden, da gibt es einiges an Substanz, der ich, ja, relativ früh, schon mal begegnet bin.
Steht der steirische Wein für Steirer tatsächlich an erster Stelle?
Die Prägung ist durchaus dominant, da er ja ein Wein ist aus kleinen und bergigen Lagen. Er kann herb sein, er kann ein wenig zu viel Säure haben, also immer ein bisschen mehr als woanders. Man kann das auch unausgeglichen nennen. Mittlerweile ist das bei vielen Winzern nicht mehr so. Aber du hast halt eine gewisse Wucht im Geschmackserlebnis, die du in feineren Stufen brauchst, um die feineren Stufen wahrzunehmen. So hab ich das empfunden. Ein Wein, der für mich immer ein bisschen zwiespältig war, war der Weißburgunder. Der ist zwar sehr angenehm zu trinken, aber viel interessanter habe ich immer schon den Riesling gefunden, später dann auch den Chardonnay. Mittlerweile, eigentlich erst seit kurzer Zeit, den Gelben Muskateller.
Wir haben einen Gelben Muskateller da.
Herrlich!
Der hier ist ein Jahrgang 2015 vom Reinhard Muster, der macht jetzt seinen zehnten Jahrgang. Er ist ein cooler Bursche, hat mittlerweile ein großes Weingut. Der ist halt richtig typisch, laut, Muskat, klingelt in der Nase. Polarisierend, aber …
Mir schmeckt das aber …
Was muss ein Weißwein für dich können? Irgendeine Charakteristik?
Was ich liebe und schätze an Weißweinen, ist, wenn sie ganz leicht prickeln auf der Zunge. Aber nicht moussieren. Wahrscheinlich entsteht das über die Säure, wenn es eine Reaktion gibt. Und dann schätze ich auch eine gewisse Herbheit.
Dann schmeckt dir vielleicht dieser Wein hier.
Was ist das jetzt?
Der ist auch von Muster aus seiner „Motif-Serie“ und heißt einfach nur „Jungbrunnen“. Hier stehen bewusst keine Rebsorten auf dem Etikett, der Wein soll schmecken, wie er heißt.
Er ist auf jeden Fall nicht so fruchtig, nicht wie der Vorhergehende. Sagen wir es mal so. Der rinnt runter. Ich halte ihn auch für verhältnismäßig unkompliziert und eben süffig.
„Was mir immer eigenartig vorkam, war dieses Popstar-Gehabe der Winzer, das geht mir einfach auf den Wecker.“
Dabei ist der Wein mit 10-12 Euro nicht unbedingt hochpreisig. Wie stehst du dazu, dass viele Weine schon aufgrund des Preises nur Kennern und Könnern vorbehalten scheinen?
Verwandte von mir sind in München Weinhändler für österreichischen Wein. Und der hat mich ein paar Mal mitgenommen auf die VieVinum und ähnliche Weinveranstaltungen. Was mir dort immer eigenartig vorkam, war dieses Popstar-Gehabe der Winzer, das geht mir einfach auf den Wecker. Macht’s eure Arbeit g’scheit, dann müsst’s euch net so aufführen! Das betrifft nicht alle, aber wahrscheinlich wird das auch verlangt. Die Leute wollen jemanden Glänzenden haben, damit man sich mit dem Wein identifizieren kann. Kann sein, dass die das wirklich machen müssen, aber ich find es ein bisschen peinlich.
Gehen wir zurück in deine Kindheit und zu den frühen Erinnerungen: Was kommt dir da in den Sinn? Das erste Zuckerl oder das beste Eis oder ein Sommer im Freibad?
Was immer herrlich war: Wenn ich im Sommer im Wald Schwammerl suchen war. Bei uns hieß es allerdings nicht „Schwammerl suchen“, sondern „holen“. Dann kamen wir mit Grünlingen zurück, ich glaube, sie haben so geheißen. Die haben wir ins Rohr gelegt und gegrillt und dann mit ein bisschen Eierspeise auf Schwarzbrot gegessen. Da ist Kalbfleisch nichts dagegen.
Was ich mich schon immer gefragt habe: Wie ist das eigentlich, wenn man im Theater auf die Bühne geht und Wein getrunken hat? Wie spielt es sich angetrunken?
Ganz schlecht. Das ist die Hölle für mich, weil ich das gepaart mit der Adrenalinausschüttung überhaupt nicht vertrage. Wenn du beschwipst bist, merkt der Körper, wie das Adrenalin beim ersten Auftritt einschießt und der Körper weiß damit gar nichts anzufangen.
Was steht eigentlich am Tisch, wenn Wein bei einer Vorstellung getrunken wird? Also als Requisite.
Tee oder Apfelsaft, bei Rotwein ist es meistens ein Fruchtsaft. Außer beim Zilk-Film „Deckname Holec“, da gibt es eine Szene beim Essen im französischen Restaurant und da haben sie alkoholfreien Sekt gereicht. Einige Kolleginnen aus Tschechien oder Ungarn, die, wenn Wein getrunken werden sollte, auf echten Wein bestanden, und den haben sie auch bekommen. Für mich geht das aber gar nicht.
Wenn du nicht vor der Kamera stehst: Wo entspannst du? Stichwort: Urlaub.
Das ist geteilt. Was ich einmal pro Jahr brauche, ist Berg und Meer. In welcher Konstellation und wo, das ist dann egal. Das sind meine Basics.
Das heißt, du willst gerne die Elemente spüren?
Absolut. Es kann auch etwas Raueres sein, anstelle eines Nullachtfünfzehn-Strandes. Es kann eine wilde, unentdeckte Ecke sein. Einen herrlichen Strand, wo es allerdings unmöglich ist zu baden, habe ich in Island erlebt. Wunderbar und unglaublich beeindruckend. Vor allem mit der Kombination der Elemente dort. Wenn du hinter dir den Gletscher hast, vor dir das Meer, du bist auf einem Lavastrand und rechts und links von dir die Vulkankegel, das ist schon sehr einzigartig.
Kehren wir wieder zum Film zurück, zum „Faust“, einer russischen Verfilmung von Alexander Sokurov, der den Goldenen Löwen dafür gewann. Der Film wurde auf Deutsch gedreht. Ich stelle mir das schwierig vor, wenn man einen Regisseur vor sich sitzen hat, der Anweisungen gibt und aber gar nicht weiß, ob du das so spielst, wie er es will. Gibt es da Verständigungsprobleme?
Sokurov hat ein unglaublich feines Gehör und weiß, wie Deutsch klingen muss. Das heißt, er weiß natürlich, dass wir im deutschen Deutsch ganz viel mit Konsonanten zu tun haben, die quasi die Aufhänger der Sprache sind. Ich habe den Text so intoniert, wie ich es von Peter Stein im Ohr hatte, aber Sokurov wollte etwas anders. Da kam es fast zum Eklat. Die Dolmetscherin meinte, bitte versuch es doch mal so, wie er es will. Dann hab ich das gemacht: Sokurov wollte, dass wir den Text gegen den Sinn sprechen. Und wirklich: In dem Moment, wo ich es gesagt habe, habe ich gemerkt, es funktioniert. Das war sehr erstaunlich.
„Cop Stories“ hat dich österreichweit bekannt gemacht. Erkennt man dich auf der Straße? Oder halten die Leute Distanz?
Es hat sich in gewissem Maße schon verändert, ja. Es passiert immer wieder, dass ich angesprochen werde, dass man mich scheinbar offensichtlich erkennt. Aber es hält sich in Grenzen, denn die Sendung war zwar im Hauptabendprogramm, aber ich war ja jetzt nicht wie die Uschi Strauß, die eine Serie für sich hat. In „Cop Stories“ gibt es eher ein Ensemble, insofern ist es etwas gedämpft. Es ist jetzt nicht so, dass du nirgends mehr hingehen kannst.
Bist du jemals in deiner Rolle als Polizist auf der Straße angesprochen worden?
Ja, ja, sicher. Was mir so richtig imponiert hat, war eine fette BMW-Schüssel, wo ein junger Typ rausgeschrieen hat: „Super Oberst, herst, zeigs ihna“. Das war herrlich, das zeigt, du bist auch bei den Zuschauern angekommen.
Wenn du eine Rolle über längere Zeit spielst, entdeckst du darin noch etwas Neues?
Ich schätze es, Zeit zu haben, je länger ich mit einer Rolle zu tun habe. Ich kann dann Details weiter entwickeln und verschiedene Eigenschaften entdecken. Wichtig ist, dass die Bücher reizvoll bleiben, dass du nicht draufkommst, dass kann ich eh schon. Das wäre blöd. Aber das war bei „Cop Stories“ sowieso nicht der Fall.
Vielen Schauspielern hilft das Kostüm einer Figur, um in die Rolle zu finden. Dir auch?
Das ist mir ganz wichtig. So simple Dinge wie ein Kostüm helfen einem, sich so zu transformieren. Manchmal reichen sogar die Schuhe schon.
Wirklich?
Schuhe sind fast das Wichtigste.
Wieso?
Weil sich über die Schuhe zeigt, auf welche Weise du Kontakt zum Boden hast. Ob er flach ist, hart oder weich.
Das hab ich noch nie gehört.
Ja, da fängt alles an. Deshalb bin ich bei Schuhen in Rollen wahnsinnig heikel und völlig verständnislos, wenn man zu mir sagt: Kannst du vielleicht deine eigenen Schuhe zur Probe mitbringen? Aber das geht nicht, denn in meinen eigenen Schuhen würde ich mich ja selbst spielen. Das fremde Schuhwerk ist wichtig für die Figur. Das ist sehr heikel. Es kommt nicht nur darauf an, wie sie ausschauen, sondern auch darauf, wie sie sich anfühlen. Wie durch sie vom Boden hinauf alles wächst, als wäre man ein Baum.
Das Interview für Just Taste führten Matthias Greuling und Oliver Sartena. Fotos: Katharina Sartena. Wir bedanken uns beim Grand Ferdinand für die gastfreundliche Unterstützung.